Mensch, Maschine und das Echo der Zukunft

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06:45 Uhr – Der perfekte Start

Die Sonne wagt kaum, ihren ersten Strahl hervorzuschicken, da läuft unser Haus längst auf Hochtouren. Ein Orchester an automatisierten Vorgängen setzt ein, als hätte ein allwissender Dirigent den Taktstock erhoben: Rollos surren im exakten Rhythmus, eine Playlist plätschert in Frequenzen, die meine Laune angeblich in die Höhe treiben sollen.

„Papa, das Lied ist megaaaa!“, quietscht meine Tochter aus ihrem Zimmer, als wäre ein Superstar für ihr Privatkonzert aufgetreten. Ich hebe die Augenbrauen, während ich versuche, ein perfekt aufgeschlagenes Ei zu genießen, das so perfekt ist, dass es fast unecht schmeckt.

Neben mir sitzt meine Frau und scrollt durch ihre neuesten Kreationen, die eine ASI soeben als „revolutionär“ einstufte. „Wahnsinn, oder?“, fragt sie, mit einer Stimme, die zwischen Stolz und Zweifel schwankt. „Ist das jetzt noch meine Kreativität oder nur der Algorithmus, der meine Gedanken aufpeppt?“

Und meine Tochter? Die leuchtet wie ein Reklamelicht. „Unsere KI in der Schule baut heute mit uns eine riesige virtuelle Stadt! Wir kriegen alles perfekt geplant – Verkehr, Grünflächen, sogar die Bäckerei!“ Ich nicke, als ob das alles völlig normal sei. Aber innerlich frage ich mich: Werden wir alle noch reale Probleme lösen können oder nur noch bunte Pixelstädte bewohnen?

10:15 Uhr – Arbeit ohne wirkliche Arbeit

In meinem Homeoffice hat die Zukunft schon Einzug gehalten und zwar mit allem Zipp und Zapp: Hologramm-Tastaturen, glühende Projektionswände, eine AGI, die scheinbar alles kann – auch mir sagen, wann ich bitte mal Pause machen soll. Ich bin offiziell „Projektleiter“ – tatsächlich bin ich nur der Typ, der ab und zu „Ja, genehmigt!“ murmelt.

Zwischen den blitzschnellen Updates meiner KI denke ich zurück an damals. Wie ich in der U-Bahn stand, mich mit Kollegen über den neuesten Büroklatsch unterhielt, in staubigen Konferenzräumen nach Ideen rang, um dann frustriert, aber lachend, in die Kaffeeküche zu flüchten. Verrückt, dass ich dieses Chaos jetzt vermisse.

Meine Tochter wirbelt ins Zimmer. „Papa, warum arbeiten eigentlich alle nur noch von zu Hause aus? Ist das nicht total langweilig?“ Ich spüre ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ich schaue meine Tochter an, lächle gequält und zucke nur mit den Schultern.

16:30 Uhr – Die überoptimierte Freizeit

Die AGI hat unseren Vater-Tochter-Ausflug geplant und uns den „besten“ Park empfohlen – die sauber geschnittenen Hecken wirken fast, als wären sie aus grünem Plastik. Nur ein winziges Blatt wagt es, aus der Reihe zu tanzen, ehe ein Pflegeroboter herbeisurrt, um es brav zurückzuschneiden.

„Papa, fang!“, ruft meine Tochter und schleudert mir einen hochintelligenten Ball zu, der seine Flugbahn korrigiert, sobald ich auch nur ans Danebengreifen denke. Ich tue so, als sei es ein Abenteuer, doch in Wahrheit lässt mich dieses Ding kaum noch Fehler machen. Wo bleibt die Herausforderung, der Spaß am Stolpern und Wiederaufstehen?

Ein älteres Ehepaar schlendert vorbei. „Ach, damals haben wir noch gegen richtige Bälle getreten, die unberechenbar durch die Luft flogen!“, tönt der Mann mit einer Mischung aus Wehmut und Erleichterung. Seine Frau seufzt: „Aber keiner hungert mehr! Ist doch super!“ Ich zucke die Schultern. Was soll ich sagen? Mehr Bequemlichkeit, weniger Menschlichkeit? Oder andersrum? Die Frage lässt mich nicht los.

18:45 Uhr – vollautomatisierte Zukunft

Kaum daheim, laufen die ultra-neutralen Nachrichten über unseren riesigen Bildschirm. Die ASI-Moderatorin erklärt in unbestreitbar sachlichem Ton, wie eine Protestbewegung gegen die totale Automatisierung immer lauter wird – Plakate flattern im Wind: „Reclaim Humanity!“. Ich spüre einen Stich, als säße mir ein widerspenstiger Gedanke im Nacken.

Meine Frau dreht sich zu mir: „Haben wir die Kontrolle über unsere Welt längst abgegeben?“ Ihre Stimme ist leise, aber ihr Blick brennt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir hier sitzen und zusehen, wie sich die Zukunft entwickelt, ohne dass wir wirklich eingreifen.

Unsere Tochter strahlt wieder. „Ich hab meine virtuelle Stadt fertig gebaut! Kommt mal gucken!“ Sie zeigt uns bunte Häuser, Baumsimulationen, intelligente Verkehrswege. Alles so perfekt auf dem Bildschirm, dass es fast zu schön ist, um wahr zu sein. Und ich kann mir nicht helfen: Ich frage mich, ob sie irgendwann lernen wird, eine reale Schraube in ein echtes Brett zu drehen, mit all dem Lärm, dem Schweiß – und der Befriedigung, es selbst geschafft zu haben.

00:20 Uhr – Die Frage nach der wahren Menschlichkeit

Die Familie schläft, doch ich liege wach und lausche dem allgegenwärtigen Summen. Unser Smart Home surrt wie ein gigantischer Kokon, der uns wärmt und beschützt, uns aber auch in seiner künstlichen Umarmung gefangen hält.

Ich höre noch mal die unbeschwerte Stimme meiner Tochter in meinem Kopf: „Papa, warum brauchen wir Menschen eigentlich noch?“ Meine Antwort gefriert mir im Mund, denn sie ist zugleich klar und unbegreiflich. Wir sind die Chaoskünstler, die Fehlerverliebten, die Forscher nach dem Sinn in jedem kleinen Schlamassel. Darin liegt unsere Kraft.

Wir sind keine Maschinen. Maschinen analysieren, berechnen und optimieren. Wir Menschen träumen, irren, verzweifeln – und machen dann weiter, weil wir Hoffnung haben oder Liebe oder schlichtweg Sturheit. Vielleicht ist genau das, was uns von ihnen unterscheidet.

Also schließe ich die Augen, in einem Haus, das keine Fehler macht. Doch tief in mir drin spüre ich den Wunsch nach einer ordentlichen Portion Unvollkommenheit – denn erst wenn wir scheitern dürfen, bleiben wir lebendig. Und so schlafe ich ein, halb beruhigt, halb aufgewühlt und schwöre mir: Morgen sorge ich für eine ordentliche Delle in dieser aalglatten Welt…


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